Opferberatungen kritisieren das Fehlen der Betroffenenperspektive im Prozess. Eine gemeinsame Pressemitteilung der Thüringer Beratungsstelle ezra und der LOBBI. Gestern wurde am Landgericht Stralsund das Urteil gegen den Betreiber der neonazistischen Internetplattform „Altermedia“ verkündet. Der Stralsunder Axel M. war zum wiederholten Male wegen Volksverhetzung und Beleidigung in mehreren Fällen angeklagt. Erst im Oktober 2011 wurde er zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, die er zur Zeit in der JVA Stralsund absitzt. Diese verlängert sich nun um ein Jahr.
Dem Urteil war eine Verständigung zwischen Richterin, Staatsanwalt und Verteidiger vorausgegangen. Durch diese wurden alle Anklagepunkte, die sich auf den Zeitraum vor dem letzten Urteil beziehen, eingestellt. Für die restlichen ihm vorgeworfenen Straftaten legte der 48-jährige M. das geforderte vollumfassende Geständnis ab.
Unter den Anklagepunkten, die eingestellt und somit nicht verhandelt wurden, findet sich ein Artikel des bekennenden Neonazis vom 25.07.2011 in dem er einem Pfarrer aus Gera unter anderem „geistige Syphilis“ unterstellt. In den zum Artikel gehörigen Kommentaren fanden sich weitere Beleidigungen und Bedrohungen gegen den Kirchenmann und Menschen christlichen Glaubens. Ein Antrag auf Zulassung einer Nebenklage wurde vermutlich aufgrund des abzusehenden „Deals“ vorher abgelehnt.
„Durch die Ablehnung der Nebenklage fand die Betroffenenperspektive keinerlei Berücksichtigung im Verfahren. Es ging allein um den Täter und seine kruden Beweggründe und nicht um die Folgen seiner Handlung für den Betroffenen und seine Angehörigen.“ stellt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter von LOBBI, der Opferberatung in Mecklenburg Vorpommern, fest. „Dass die niedrige Reichweite von „Altermedia“ auch noch als strafmildernd gewertet wurde und die Überzeugung des Täters von der Richtigkeit seines Handelns die Verständigung überhaupt erst ermöglichte, verkennt die Bedeutung der Plattform und ihrer Hetze für Teile der Neonazi-Szene.“, erklärt der Opferberater weiter.
Zur Begründung der Ablehnung einer Nebenklage erklärt Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling, der den Geraer Pfarrer in seinem Bestreben vertreten hat: „Das Landgericht hat den Fall als relativ unbedeutende Beleidigung gewertet. Das wird der Bedeutung von Altermedia für die Neonazi-Szene in Deutschland nicht gerecht. Dem Gericht war offensichtlich daran gelegen, das Verfahren schnell und geräuschlos zum Ende zu bringen. Dabei hätte die Anwesenheit eines Geschädigtenvertreters wohl gestört.“
„Die gebetsmühlenartige Wiederholung des Neonazis, jeden Satz wieder so zu schreiben, ist im Zusammenhang mit der Nichtverhandlung der Beleidigung, für den Betroffenen, förmlich ein Schlag ins Gesicht. Das Vertrauen, durch rechtsstaatliche Mittel Anerkennung für die eigene Situation zu bekommen, durch die der Täter für seine Handlungen Konsequenzen erwarten muss, ist damit tief erschüttert. Gerade weil der Zusammenhang zwischen Hetzartikeln auf der rechten Website und Straftaten der lokalen Neonazi-Szene nicht auszuschließen ist.“ erklärt Franz Zobel, Mitarbeiter von ezra, der mobilen Opferberatung in Thüringen. An verschiedenen Stellen des Pfarramts wurden in der Vergangenheit u.a. mehrmals neonazistische Aufkleber angebracht. Aufgrund dieser Bedrohungssituation wandte der Betroffene sich an die Thüringer Opferberatung.
Pressemitteilung vom 28.03.2013: Lobbi e.V.